
Als politischer Aktivist und verbunden mit seinem künstlerischen Schaffen avancierte Walter Mossmann im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts weit über Freiburg hinaus zu einem der Protagonisten der Neuen Sozialen Bewegungen. Er wurde dabei eines der Gesichter des Widerstandes gegen den Bau eines Atomkraftwerks im badischen Wyhl, hat später die Freiburger Städtepartnerschaften mit dem nicaraguanischen Wiwili und dem ukrainischen Lwiw (Lemberg) mit initiiert und inspiriert und die Entwicklung der bundesrepublikanischen Linken stets mit seinem wachen Blick hinterfragt.
Das nachfolgende ausführliche Porträt von Walter Mossmann entstand anlässlich der Gründung der Walter Mossmann Gesellschaft e.V. im Frühjahr 2023.
"Ach, wär’s doch normal!"
Walter Mossmann – eine Erinnerung!
von Ulrich Fuchs
Vielleicht zählt ja dieses Waldstück zu den wichtigsten Hinterlassenschaften. Ein Stück unberührte Natur in den Rheinauen am nordwestlichen Rand des Kaiserstuhls. Allemal, wo sich der Wald – 2021 vom Land Baden-Württemberg zurückgekauft – nun wieder im Besitz der Gemeinde Wyhl befindet.
Oder ist ein Gemeindewald als persönliches Erbe ein Widerspruch? Falls ja, dann einer, an dem Walter Mossmann bestimmt Gefallen hätte finden können. Schließlich war er ein Widerspruchsforscher. Hat die Dinge hin- und hergewendet, von allen Seiten angeschaut, nochmal und nochmal und nochmal, auf der Suche nach der Wahrheit. Denn das war er ja vielleicht am allermeisten: ein Wahrheitssucher.
Walter Mossmann also. Geboren 1941, Spätkriegskind, in den 60-er Jahren Studium der Germanistik, Politik und Soziologie, APO-Aktivist, Gedichteschreiber, Chansonier, Liedermacher, unter anderem mit Auftritten beim legendären Folkfestival auf der Burg Waldeck , als Rundfunkjournalist Moderator einer kritischen Kindersendung, als es das eigentlich noch gar nicht gab und deshalb auch schon bald nicht mehr – dann Wyhl.
Walter Mossmann wird ein Gesicht des Widerstands gegen den Bau des dort geplanten Kernkraftwerkes. Eines seiner wichtigsten Gesichter. Obwohl es diese Kategorie für ihn gar nicht gibt. Oder gerade deshalb. Der Freiburger Kabarettist Matthias Deutschmann schreibt später im Vorwort von „Der Nasentrompeter“, einer Sammlung von Mossmann-Liedern und -Poemen: „Walter Mossmann ist in dieser Zeit charismatischer Aufrührer, aber er widersteht der Versuchung, Anführer zu spielen.“
Wyhl wird so zur Verfestigung des Musters, das Walter Mossmann einem seiner künstlerischen Vorbilder, dem Chansonier George Brassens zuschreibt, über den er in einer seiner populärsten Balladen „Lied für meine radikalen Freunde“ sang: „Der hat mich gelehrt, mich umzusehen, / statt aufzuschaun zu lichten Höhn/ wo über uns sitzen Gesäße aus Stein / Ärsche mit Heilgenschein“.
Sich umzusehen, zu dem als eineiiger Zwilling: zuzuhören gehört, zählt zu den größten unter den vielen Begabungen von Walter Mossmann. In Wyhl macht beides zusammen ihn zu dem, was er Zeit seines Lebens bleiben wird: zum Brückenbauer. Im konkreten Fall zum Vermittler zwischen Stadt und Land, zwischen studentischem Widerstand und dem von Winzer:innen und Arbeiter:innen, aber auch zwischen dem Elsass und Baden. Wie später zwischen dem nicaraguanischen Wiwili und Freiburg und Freiburg und dem ukrainischen Lwiw (Lemberg).
Sich umzusehen und zuzuhören macht ihn darüber hinaus zum Grenzüberschreiter, für den es keine Trennlinie zwischen unten und oben gibt, keine zwischen Künstler und Rezipient und nationale Grenzen sowieso nicht. Ihm ist wichtig, was Menschen verbindet; dass die badisch-elsässischen Bürgerinitiativen eine andere „Wacht am Rhein“ halten, eine nicht national konnotierte, grenzüberschreitende eben, für die er als umgetextete Adaption die gleichnamige Hymne schrieb, oder wie er es später selbst ausdrückte: „unsere musikalische Fahne“.
Der lange, und in allen drei Fällen erfolgreiche Kampf gegen das Atomkraftwerk hüben und das Bleichemiewerk Marckolsheim drüben und als eigentlich drittes gegen das schweizerische Atomkraftwerk Kaiseraugst, ist so auch eine Fortsetzung und Vorwegnahme dessen, was ihn schon davor, währenddessen und danach immer wieder beschäftigt. Antreibt wäre vielleicht die bessere Formulierung. Schon auf der Burg Warteck als „Lauscheloch zur Welt“ wie, ebenfalls in den 1960-ern, auf dem Folkfestival in Turin bei der Begegnung mit dem Ensemble „Nuovo Canzoniere Italiano“, das mit dem späteren Nobelpreisträger für Literatur Dario Fo zusammenarbeitet; auf dem südfranzösischen Causse du Larzac, wo er den Widerstand der Bäuerinnen und Bauer gegen einen geplanten Truppenübungsplatz – auch journalistsich – begleitet, und natürlich beim Kampf gegen die Kernernergienutzung in Brokdorf, Gorleben und dem französischen Malville. Aber auch in der Auseinandersetzung mit den revolutionären Bewegungen in Südeuropa und in der sogenannten dritten Welt und ihrer Rezeption in der europäischen Linken. Immer sind es bei alldem dieselben Fragen, die ihn da an- und auch umtreiben: Wie sich eine ungerechte Welt beschreiben, besingen und – auch damit - in Richtung eine gerechteren verändern lässt. Und nicht zuletzt wie das alles zusammen funktionieren kann, ohne dass gleich schon wieder oben und unten entsteht. Und damit Ungerechtigkeit.
Für sich selber findet er eine Prämisse und lebt sie konsequent und ohne Kompromisse: sich nicht vereinnahmen lassen. Und ihr Pendant: offen sein. Politisch durch und durch leistet er trotzdem und deshalb und entschieden Widerstand gegen jede Form von Vereinnahmung. Hat ein sensibles Sensorium für ideologische Scheuklappen. Fragt. Hinterfragt. Dass Teile der zerrissenen damaligen Linken sich mit den Systemen des sogenannten real existierenden Sozialismus gemeinmachen, während sie deren viel realer existierende Repressionen ignorieren. Aber auch die oft gleichsam religiöse Verklärung revolutionärer Bewegungen und ihrer Führer (hier nicht: innen), auch wenn die schon wieder selbst ins Autoritäre umschlagen. Selbst die Wyhler Bewegung durchforscht er lange danach auf die Spuren von Ausländerfeindlichkeit im ideologischen Bodensatz.
Er wird darüber nachdenklicher, manchmal auch skeptischer. Auch in der Arbeit, auch in der Kunst. Als er mit dem Komponisten und Musiker Heiner Goebbels ein „Unruhiges Requiem“ für den in Nicaragua von rechten Paramilitärs ermordeten Arzt und Freund Albrecht „Tonio“ Pflaum schreibt oder zusammen mit dem Komponisten Cornelius Schwehr im experimentellen Tonstück „Die Störung“ im erstarkenden ökologische Bewusstsein nach nationalistischen, ausgrenzenden Strömungen fahndet.
Irritationen hin, all die Dellen und Schrammen bei der Entwicklung der sozialen Bewegungen her, resignativ wir er nie. Auch nicht als die optimistische Hey-hier-wird-ein-Platz-besetzt-Stimme nach dem Kehlkopfkrebs zur Kratzstimme geworden ist. Auch die erhebt er weiter.
Was bleibt? Die Lieder natürlich, die poetischen Chansons genauso wie die zuversichtlichen Agit-Prop-Songs und die sperrigeren, späteren. Viele, viele Aufsätze und Essays. Sein wichtiges Zutun zu den Freiburger Städtepartnerschaften mit Wiwili und Lwiw (Lemberg), Filme, und, klar, Radio Dreyeckland, für das er in den frühen, wilden, nicht legalen Jahren ein Anchorman der ganz anderen Art gewesen ist. Der Deutsche Kleinkunstpreis 1982, der Förderpreis des Reinhold-Schneider-Preises 1990, der Ehrenpreis des deutschen Weltmusikpreises Ruth für sein Lebenswerk 2004. Und neben noch vielem anderen auch dieses Waldstück in den Rheinauen eben, wo einmal das Wyhler Atomkraftwerk hätte gebaut werden sollen.
Nicht zu vergessen die Erinnerung an noch so eine dieser ganz besonderen Begabungen Walters: dass es in seiner Gegenwart wärmer wurde – selbst auf herbstkalten Bauplätzen (und später auch in winterzugigen Fußballstadien). Weil die Zugewandtheit fühlbar blieb, selbst wenn Zusammentreffen mit ihm herausordernd wurden, was gerne passierte. Und weil, wer wollte, spüren konnte, dass seine Lust an der Provokation, sein Eigensinn nicht ichbezogen war, sondern der Sache galt. Einer Sache, deren Kern selten auf weniger zielte als auf Gerechtigkeit, den Kampf darum.
Anders gesagt: Walter Mossmann war und blieb im allerbesten Sinne des Wortes radikal. Mit ihm selbst und noch einmal dem „Lied für meine radikalen Freunde“ bleibt weiterhin anzufügen: „Ach, wär’s doch normal.“

Das Portrait von Walter Mossmann findet sich hier als pdf: Flugblatt [pdf]